Am Ende des Schweigens
Roman
Charlotte Link

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Am Ende des Schweigens

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Produktbeschreibung

SWR sagt:

Die Meisterin der Täuschungen heißt Charlotte Link. Die Wiesbadenerin schreibt so gut und so britisch, dass selbst ihre englische Kollegin MInette Walters vor Neid erblassen würde!

AUTOR: Charlotte Link

Charlotte Link, geboren in Frankfurt/Main, ist die erfolgreichste deutsche Autorin der Gegenwart. Ihre psychologischen Spannungsromane sind internationale Bestseller, auch Im Tal des Fuchses eroberte wieder auf Anhieb die SPIEGEL-Bestsellerliste. Allein in Deutschland wurden bislang über 24 Millionen Bücher von Charlotte Link verkauft; ihre Romane sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die Verfilmungen, zuletzt Das andere Kind, werden im Fernsehen mit enorm hohen Einschaltquoten ausgestrahlt. Charlotte Link lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt/Main.
Stanbury - ein kleines Dorf im Südwesten Yorkshires. Eine eigenwillige, romantische Landschaft, die einst die Heimat der Brontë-Schwestern war. Und ein Ort, an dem drei eng befreundete deutsche Ehepaare seit vielen Jahren ihre Ferien verbringen. Sommer, Weihnachten, Ostern - regelmäßig treffen sie sich im alten Stanbury House mit seinem weitläufigen, verwilderten Park und dem brüchigen Charme lang vergangener Zeiten. Die jeden Streit, jeden Konflikt ausschließende Idylle zwischen den Freunden, die sich als große, glückliche Familie empfinden, trügt - wie die junge Jessica Wahlberg, die neu hinzugekommen ist und daher mit unbefangenem Blick hinter die Fassaden blickt, bald herausfindet. Nichts ist so, wie es scheint. Und niemand ist der, der er vorgibt zu sein. Hinter dem lächelnden Schweigen, das über dem Haus und seinen Bewohnern liegt, haben sich längst Angst, Hass, Eifersucht und Verzweiflung ausgebreitet. Jessica, die diese Verlogenheit zunehmend schwer erträgt, flüchtet immer öfter in lange, einsame Wanderungen. Doch wer ist der seltsame Fremde, der Wiesen und Wälder um Stanbury House durchstreift und plötzlich - unter Berufung auf lang zurückliegende Geschehnisse - Eigentumsansprüche auf das Anwesen durchsetzen will? Noch während Jessica sein Geheimnis zu ergründen sucht, bricht die so mühsam gewahrte heile Scheinwelt von Stanbury House in sich zusammen: Ein furchtbares Verbrechen beendet das Jahrzehnte lange Schweigen und konfrontiert die Überlebenden mit ihrer ganz persönlichen Wahrheit.



Eine eigenartige Stille lag ?ber Stanbury.
Eine gro? und umfassende Stille, so als habe die Welt aufgeh?rt zu atmen.
Wahrscheinlich, dachte sie, sind alle weggegangen. Zum Einkaufen vielleicht.
Obwohl das seltsam war, denn niemand hatte am Morgen etwas davon gesagt, und f?r gew?hnlich wurden derlei Vorhaben besprochen. So wie einfach alles zwischen ihnen immer besprochen wurde. Au?r den Dingen, die das Ger?st zum Einsturz bringen k?nnten. Aber dazu z?te nicht, wenn jemand einkaufen ging.
Doch diese Stille reichte tiefer.
Sie ?berlegte, was so anders war, aber sie kam nicht darauf. Vielleicht lag das auch daran, da?sie so m?de war. Die Ereignisse der letzten Tage, die Schwangerschafts?belkeit, die sie immer wieder befiel, die ungew?hnliche W?e. Sie konnte sich nicht erinnern, da?je ein April so anhaltend warm gewesen war. Gerade hatte es so ausgesehen, als werde es ein wenig k?hler, aber nun kehrte die dr?ckende Schw?le schon wieder zur?ck.
Sie war weiter gelaufen, als sie es vorgehabt hatte, fast um das ganze Anwesen herum, durch das kleine Waldst?ck im Westen und ?ber die H?gel im S?den. Erst jetzt merkte sie, wie stark sie schwitzte, da?ihr Gesicht na?war und ihre Haare im Nacken klebten, da?ihr Atem keuchend ging. Barney, ihr junger Hund, scho?wie ein Gummiball vor ihr her und war so munter, als sei er noch keine f?nf Minuten an diesem Tag gelaufen. Normalerweise hatte auch sie eine gute Kondition, aber sie hatte schlecht geschlafen in der Nacht, und in den vergangenen Wochen hatte sie sich h?ig ?bergeben. Jetzt, gegen Ende des dritten Monats, schien es besser zu werden, aber sie f?hlte sich sehr geschw?t.
Sie war auch einfach zu warm angezogen. Ihre Jacke hatte sie sich schon um die H?ften gebunden, vorhin, als sie ?ber die hoch gelegenen Wiesen gestapft war. Sie hatte sich einige Male dabei ertappt, wie sie sich vorsichtig umschaute. Sie hatte ihn mehrfach getroffen w?end ihrer langen, einsamen Spazierg?e. Als habe er auf sie gewartet, weil er sicher sein konnte, da?sie k?. Er hatte in ihr eine Verb?ndete gewittert, und vielleicht lag er damit gar nicht so falsch. Was nat?rlich bedeutete, da?sie gegen das oberste Gebot der Gruppe verstie? aber seit einigen Tagen fragte sie sich ohnehin, ob es die Gruppe f?r sie noch gab, oder besser: ob sie noch dazugeh?ren wollte.
Sie passierte das hohe, schmiedeeiserne Tor, das zur Auffahrt des Anwesens f?hrte. Wie so h?ig stand es offen; da die Mauer, die den Besitz umschlo? ?ber weite Strecken zerbr?ckelt oder gar nicht mehr vorhanden war, machte es ohnehin keinen Sinn, hier pingelig zu sein.
Sie sah sich hoffnungsvoll um: Falls sie alle weggefahren waren, kam vielleicht jetzt jemand zur?ck und konnte sie die Auffahrt entlang bis zum Haus mitnehmen. Der Weg schl?elte sich ?ber fast einen Kilometer und stieg stetig ganz leicht an. Noch bis vor einem Jahr hatten rechts und links viele B?e gestanden und Schatten gespendet, aber einige waren von einer Krankheit befallen worden, und man hatte sie f?en lassen m?ssen. Der Weg hatte dadurch viel von seinem Charme verloren, die Baumst?mpfe sahen sehr traurig aus, und die Wildnis dahinter, die stets eine romantische Stimmung vermittelt hatte, wirkte auf einmal verwahrlost.
Es gibt schon eine Menge Zerfall hier, dachte sie.
Weit und breit lie?niemand sich blicken, und nachdem sie noch einmal kurz innegehalten und tief durchgeatmet hatte, machte sie sich daran, die letzte Etappe zu bew?igen. Der Baumwollpullover, den sie trug, klebte an ihrem R?cken, und ihre hei?n F?? in den kn?chelhohen Turnschuhen f?hlten sich dick geschwollen an. Der Gedanke an eine Dusche und an ein Glas eiskalten Orangensaft bekam fast obsessiven Charakter.
Und dann w?rde sie f?r den Rest des Tages die Beine hochlegen und sich nicht mehr aus ihrem Liegestuhl fortbewegen.
Obwohl der Spaziergang sch?n gewesen war, wirklich sch?n. England im Fr?hling lie?einem das Herz aufgehen. Sie hatte den kleinen, zerrupften W?lkchen nachgeblickt, die ?ber den lichtblauen Himmel trieben, und sie hatte den milden, verhei?ngsvollen Wind gerochen, in dem Bl?tenduft schwang, sie hatte ein paar Schafe gestreichelt, die frei ?ber die Hochmoore liefen und sich ihr zutraulich n?rten. Wilde Narzissen bl?hten in den T?rn und an den H?en und gossen leuchtendes Gelb ?ber die karge Landschaft. Die V?gel sangen, jubilierten, tr?erten in allen T?nen...
Die V?gel!
Sie blieb stehen. Auf einmal wu?e sie es. Wu?e, woher diese unwirkliche Stille ?ber Stanbury r?hrte.
Die V?gel waren verstummt. Nicht ein einziger erhob seine Stimme.
Sie konnte sich nicht erinnern, je ein so vollkommenes Schweigen erlebt zu haben.
Von einem Moment zum anderen erkaltete der Schwei?auf ihrer Haut, und sie zog fr?stelnd die Schultern hoch. Was brachte V?gel zum Schweigen an einem so sch?nen, so sonnigen Tag? Etwas mu?e ihren Frieden gest?rt haben, so heftig und so nachhaltig, da?es keine Freude mehr gab, die sie heraussingen konnten. Eine Katze vielleicht, eine r?erische, mordlustige Katze, die einen von ihnen gefangen und get?tet hatte, und seine Todesschreie waren in diese lastende, atemlose Stille gem?ndet.
Obwohl ihre Ersch?pfung um nichts nachgelassen hatte, beschleunigte sie ihre Schritte. Sie versp?rte ein erstes Seitenstechen, w? gern gerannt wie Barney und hatte doch nicht die Kraft. Noch ein paar Monate, und sie w?rde unf?rmig angeschwollen sein und wahrscheinlich watscheln wie eine Ente. Ob sie danach wieder so schlank w? wie fr?her? Unsinnigerweise ging ihr dieser Gedanke auf den letzten Metern zum Haus immer wieder durch den Kopf, obwohl sie eigentlich wu?e, da?die Frage nach ihrer Figur sie im Augenblick gar nicht interessierte. Eher war es so, da?sie sie in den Vordergrund dr?te, um nicht ?ber etwas anderes nachdenken zu m?ssen. Dar?ber, weshalb sie fror, obwohl ihr hei?war, und warum sie ein Kribbeln auf der Kopfhaut sp?rte, und warum sie auf einmal meinte, sich so beeilen zu m?ssen.
Dar?ber, warum der helle Fr?hlingstag pl?tzlich nicht mehr richtig hell war.
Sie konnte den Giebel des Hauses sehen, einen Teil der sch?nen Fassade im Tudorstil, die Reflexe des Sonnenlichts in den Bleiglasscheiben. In alter Gewohnheit z?te sie die Fenster unter dem Dach durch - das tat sie immer, wenn sie den Weg hinaufkam; das vierte von links geh?rte zu ihrem Zimmer -, und undeutlich konnte sie dahinter den Strau?von Narzissen erkennen, den sie gestern abend noch gepfl?ckt und in einer Vase dorthin gestellt hatte.
Sie blieb stehen und l?elte.
Der Anblick der Blumen hatte ihr ihren Frieden zur?ckgebracht.
Dann sah sie Patricia, die vor dem Holztrog kniete, der mitten in dem gepflasterten Hof stand. Ein Trog, aus dem fr?her Schafe oder K?he getrunken hatten und den jemand vor Jahren auf dem Gel?e von Stanbury gefunden und angeschleppt hatte. Seitdem pflanzten sie Blumen hinein, Fr?hlingsblumen, Sommerblumen, Herbstblumen, und im Winter steckten Tannenzweige darin, um die sich eine Lichterkette schlang.
?Hallo?, sagte sie, ?ist das nicht pl?tzlich unfa?ar warm geworden??
Patricia hatte sie offenbar nicht geh?rt, denn sie antwortete nicht und bewegte auch nicht den schmalen, sehr kindlich wirkenden K?rper, der in ausgebeulten Jeans, einem blauwei?karierten Hemd und Gummistiefeln steckte.
Barney knurrte leise und r?hrte sich auf einmal nicht mehr von der Stelle.
Sie trat ein paar Schritte n?r.
Patricia kniete nicht vor dem h?lzernen Trog, wie es zuerst den Anschein gehabt hatte, sondern hing ?ber dem Rand, mit dem Gesicht nach unten in der frischen, feuchten Erde. Ihr linker Arm fiel seitlich herab und wirkte dabei auf eigenartige Weise verdreht. Der andere Arm lag neben ihrem Kopf, und die Finger ihrer Hand krallten sich in die Erde, als gebe es dort einen Halt oder irgend etwas, das festzuhalten sich lohnte.
Unter ihr, auf den Pflastersteinen, hatte sich eine Blutlache gebildet, was im Widerspruch zu der ersten unwillk?rlichen Vermutung stand, Patricia k?nnte von einer pl?tzlichen Kreislaufschw?e oder ?elkeit ?berw?igt worden sein.
Etwas viel Schrecklicheres war geschehen. Etwas, das zu schrecklich war, es ?berhaupt zu Ende zu denken.
Sie wu?e, da?sie sich ansehen mu?e, was man Patricia angetan hatte, und zog deren K?rper vorsichtig von dem Trog weg, was nicht weiter schwierig war, da Patricia kaum gr??r war und wenig mehr wog als ein Teenager. Der Kopf kippte zur Seite, als hinge er nur noch an einem seidenen Faden. Alles war blutbesudelt, das Hemd, die langen Haare, der Trog; und was die Erde darin so sichtlich na?und schwer machte, war vermutlich ebenfalls Blut.
Jemand hatte Patricia die Kehle durchgeschnitten und sie dann achtlos dort liegengelassen, wo sie gerade gearbeitet hatte, wo sie die Tannenzweige von Weihnachten entfernt und neue Erde aufgef?llt hatte, wo sie dabeigewesen war, frische Blumen zu pflanzen. Sie war erstickt, verblutet, hatte im Todeskampf die Finger in die Erde gegraben.
Die Luft roch nach Blut.
Vor Entsetzen hatten die V?gel aufgeh?rt zu singen.
Nie wieder, dachte sie, w?rde die Stille dieses Moments Stanbury verlassen. Nie wieder w?rde ein lautes Wort angebracht sein, oder gar ein Lachen oder das fr?hliche Geschrei von Kindern...
Bei diesem Gedanken strich sie unwillk?rlich ?ber ihren Bauch und fragte sich, welchen Schaden es bei dem Baby anrichten w?rde, da?seine Mutter einen Schock erlitten hatte - denn sicher hatte sie das: Ein Schock war das mindeste, was man erlitt, wenn man eine Freundin mit durchgeschnittener Kehle in einer ehemaligen Schaftr?e fand -, und ob sie es nun wom?glich verlor.
Erst dann ?berlegte sie, ob der, der das hier getan hatte, wohl verschwunden war oder ob er sich noch irgendwo in der N? aufhielt. Und bei diesem Gedanken konnte sie pl?tzlich die Beine nicht mehr bewegen. Sie stand wie gel?t, und alles, was sie in dieser t?dlichen Stille h?rte, war ihr eigener angsterf?llter, keuchender Atem.

Samstag, 12. April - Donnerstag, 24. April

Phillip Bowen sah sich voll Erstaunen mit der Erkenntnis konfrontiert, da?er noch nie in seinem Leben wirklich geha? hatte. Auch wenn er nat?rlich fr?her schon einige Male geglaubt hatte, Ha?zu empfinden - auf Sheila zum Beispiel, wenn er sie trotz all ihrer Versprechungen und Beteuerungen wieder und wieder mit der Nadel im Arm erwischt hatte -, so begriff er nun, da?diese Emotionen etwas mit Wut, Schmerz, Zorn und Trauer zu tun gehabt haben mu?en, nicht aber mit Ha?
Denn den f?hlte er jetzt, als er vor dem Haus stand, an dem ihm nicht ein einziger Ziegelstein geh?rte, und es war ein so starkes, machtvolles Gef?hl, da?er es als vollkommen neu und erstmalig in seinem Leben erkannte.
Das Haus war von einfacher Bauweise, schlicht und schn?rkellos, mit geraden, klaren Linien und genau so, wie er sich sein Traumhaus immer vorgestellt h?e, w? er irgendwann einmal in der Situation gewesen, dar?ber nachzudenken. Es gab ein Stockwerk und ein Dachgescho?mit kleinen Gauben und Bleiglasfenstern. Neben der schweren Haust?r aus Eichenholz kletterte Efeu empor und verlor sich dann irgendwo im schmiedeeisernen Gitter eines kleinen Balkons im ersten Stock.
Ging man um das Haus herum, so gelangte man zu der eindrucksvollen Terrasse. Sie erstreckte sich ?ber die gesamte Breite und war von einer Sandsteinbalustrade eingefa?, die sich nach vorn hin ?ffnete und einer gro??gigen Treppe Raum bot. Vier langgestreckte Stufen f?hrten in den Garten hinunter, der eigentlich ein Park war: weitl?ig, Wiesen und W?er umschlie?nd, eingefa? von einer sehr alten steinernen Mauer, die jedoch an so vielen Stellen zerbr?ckelt oder sogar ganz verschwunden war, da?sich die eigentliche Grundst?cksgrenze ?ber weite Strecken hin nicht feststellen lie? Phillip hatte sich alles angesehen. Er hatte das ganze Areal umrundet, den ganzen Besitz, und er war fast vier Stunden unterwegs gewesen. Nun stieg er die Stufen zur Terrasse hinauf und versuchte sich vorzustellen, wie es sein mu?e, sie tagt?ich l?ig hinauf- und hinunterzuspringen und zu wissen, da? so weit das Auge reichte, einem das alles selber geh?rte.
In einer schattigen Ecke der Veranda entdeckte er gro? Terrakottat?pfe, in denen verdorrte Blumen steckten, ein Hinweis darauf, da?das Anwesen als Feriensitz genutzt und zwischendurch nur in gro?n Abst?en von einem G?ner und einer Putzfrau gewartet wurde. Auch der Rasen unten im unmittelbar anschlie?nden Teil des Parks stand ziemlich hoch. Im Dorf hatte man Phillip Auskunft erteilt. Er hatte mit der Besitzerin des Gemischtwarenladens gesprochen, und diese hatte nur zu gern ihr Wissen weitergegeben.
?Meine Schwester putzt dort, und sie sieht alle drei Wochen nach dem Rechten. Und bevor die Herrschaften anreisen, l?ftet sie gr?ndlich und wischt Staub, und manchmal stellt sie auch frische Blumen in die R?e. Und dann gibt es noch Steve, den G?ner. Also, eigentlich ist er kein G?ner, er arbeitet in Leeds bei irgendeiner Firma... aber nat?rlich reicht das Geld nie, und so ist er immer dankbar, wenn er irgendwo etwas dazuverdienen kann. Na ja, und da m? er eben den Rasen und k?mmert sich ums Grundst?ck...? Phillip hatte rasch eingehakt, denn die Geschichte von Steve dem G?ner interessierte ihn nicht besonders.
?Es sind doch Deutsche, denen das Anwesen geh?rt??
?Ja, aber sie sind sehr nett.? Die Gemischtwarenh?lerin war, wie Phillip sch?te, etwa f?nfundsechzig Jahre alt, mu?e den Krieg als Kind noch erlebt haben und mochte gewisse Vorbehalte gegen?ber den Deutschen haben, wie aus ihrer Formulierung deutlich wurde. ?Eigentlich kriegt man hier gar nicht so viel von ihnen mit. Sie kommen nat?rlich zum Einkaufen zu mir, aber sie suchen nicht gerade das Gespr?. Vielleicht liegt das auch an der Sprache. Es ist etwas anderes, ob man um Butter und Brot bittet, oder ob man eine richtige Unterhaltung f?hrt, nicht wahr? Nur die eine Frau hat manchmal mit mir geredet... Ich glaube, die wollte auch mal mit anderen Menschen sprechen, nicht immer nur mit den eigenen Leuten. War eine nette Person. Spanierin. Schwarzhaarig, sehr attraktiv. Aber die ist schon lange nicht mehr da... Steve hat mir irgendwann erz?t, da?ihr Mann sich von ihr hat scheiden lassen. Seit dem letzten Jahr ist er neu verheiratet. Mit einer sympathischen Frau, das mu?man sagen.?
?Es sind drei Ehepaare, die hierherkommen??
?Genau. Immer, in allen Ferien, und auch immer alle zusammen. Drei M?hen sind noch dabei, aber zu wem die geh?ren... Die eine ist schon ?er, ein gro?s, sch?nes M?hen, vielleicht f?nfzehn Jahre alt... schon ziemlich... na ja...? Sie hatte mit beiden H?en einen ?ppigen Busen beschrieben; Phillip schlo?daraus, da?dieses M?hen schon recht gut entwickelt war.
?Einmal?, hatte die Frau mit gesenkter Stimme hinzugef?gt, ?ist sie zum Dorffest im Sommer gekommen, im letzten Jahr war das, glaube ich. Sp?in der Nacht hat Rob - mein Sohn, m?ssen Sie wissen - sie mit dem jungen Keith Mallory in seiner Scheune erwischt, also in der Scheune, die zu Robs Hof geh?rt, und er war ganz sch?n w?tend. Ob etwas passiert ist, konnte er nat?rlich nicht wissen. Dem Vater von Keith Mallory hat er jedenfalls Bescheid gesagt, und dann wollte er auch zu dem Vater von dem M?hen gehen, aber ich habe gemeint, das solle er besser nicht tun. Schlie?ich geht es uns nichts an, und man wei?ja nicht... es sind Ausl?er, keine Ahnung, welchen ?ger sie dem armen Keith machen k?nnten! Keith hatte sich vorher auf dem Festplatz ganz sch?n an das M?hen rangeschmissen, das haben jedenfalls einige gesagt, die die beiden gesehen haben. Und offensichtlich ist die Geschichte ja auch ohne Folgen geblieben, sonst h?en wir das bestimmt geh?rt.?
Phillip interessierte sich wenig f?r derlei Geschehnisse, aber es war klar, da?sein Gegen?ber genau solche Pikanterien geno?
?Kennen Sie eine der Frauen n?r? Sie hei? Patricia Roth.? Er sprach den Namen deutsch aus, denn das tat sie vermutlich auch. ?Sie ist die Eigent?merin des Anwesens.?
? Ja, so sagt man. Eine etwas verworrene Erbschaftsgeschichte war das. Der alte Kevin McGowan wollte das Anwesen ja seinem Sohn vererben, der in Deutschland lebt, aber der war nicht interessiert, und so ging alles direkt an die Enkelin... Das ist dann wohl die Frau, die Sie meinen. Patricia Roth?, sie ?berlegte, ?ich glaube, ich wei? welche das ist. So eine ganz Kleine, Zierliche. Meiner Ansicht nach ist sie die Mutter von den beiden anderen M?hen. Die sind, sch?e ich, zehn und zw?lf Jahre alt. Niedliche Dinger. Sie begleitet sie manchmal zu Sullivans hin?ber, das ist der Hof gleich am Dorfrand. Dort reiten sie auf den Ponys.?



Charlotte Link, geboren 1963, gehört zu den erfolgreichen deutschen Autorinnen der Gegenwart. Veröffentlichung großer Gesellschaftsromane (mit z. T. TV-Verfilmungen) sowie psychologischer Spannungsromane in bester englischer Erzähltradition. Die Autorin, seit vielen Jahren aktive Tierschützerin, lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt/Main. 2007 wurde sie für ihr literarisches Werk mit der "Goldenen Feder" ausgezeichnet.
"Eine eigenartige Stille lag über Stanbury.nEine große und umfassende Stille, so als habe die Welt aufgehört zu atmen.nWahrscheinlich, dachte sie, sind alle weggegangen. Zum Einkaufen vielleicht.nObwohl das seltsam war, denn niemand hatte am Morgen etwas davon gesagt, und für gewöhnlich wurden derlei Vorhaben besprochen. So wie einfach alles zwischen ihnen immer besprochen wurde. Außer den Dingen, die das Gerüst zum Einsturz bringen könnten. Aber dazu zählte nicht, wenn jemand einkaufen ging.nDoch diese Stille reichte tiefer.nSie überlegte, was so anders war, aber sie kam nicht darauf. Vielleicht lag das auch daran, daß sie so müde war. Die Ereignisse der letzten Tage, die Schwangerschaftsübelkeit, die sie immer wieder befiel, die ungewöhnliche Wärme. Sie konnte sich nicht erinnern, daß je ein April so anhaltend warm gewesen war. Gerade hatte es so ausgesehen, als werde es ein wenig kühler, aber nun kehrte die drückende Schwüle schon wieder zurück.nSie war weiter gelaufen, als sie es vorgehabt hatte, fast um das ganze Anwesen herum, durch das kleine Waldstück im Westen und über die Hügel im Süden. Erst jetzt merkte sie, wie stark sie schwitzte, daß ihr Gesicht naß war und ihre Haare im Nacken klebten, daß ihr Atem keuchend ging. Barney, ihr junger Hund, schoß wie ein Gummiball vor ihr her und war so munter, als sei er noch keine fünf Minuten an diesem Tag gelaufen. Normalerweise hatte auch sie eine gute Kondition, aber sie hatte schlecht geschlafen in der Nacht, und in den vergangenen Wochen hatte sie sich häufig übergeben. Jetzt, gegen Ende des dritten Monats, schien es besser zu werden, aber sie fühlte sich sehr geschwächt.nSie war auch einfach zu warm angezogen. Ihre Jacke hatte sie sich schon um die Hüften gebunden, vorhin, als sie über die hoch gelegenen Wiesen gestapft war. Sie hatte sich einige Male dabei ertappt, wie sie sich vorsichtig umschaute. Sie hatte ihn mehrfach getroffen während ihrer langen, einsamen Spaziergänge. Als habe er auf sie gewartet, weil er sicher sein konnte, daß sie käme. Er hatte in ihr eine Verbündete gewittert, und vielleicht lag er damit gar nicht so falsch. Was natürlich bedeutete, daß sie gegen das oberste Gebot der Gruppe verstieß, aber seit einigen Tagen fragte sie sich ohnehin, ob es die Gruppe für sie noch gab, oder besser: ob sie noch dazugehören wollte.nSie passierte das hohe, schmiedeeiserne Tor, das zur Auffahrt des Anwesens führte. Wie so häufig stand es offen; da die Mauer, die den Besitz umschloß, über weite Strecken zerbröckelt oder gar nicht mehr vorhanden war, machte es ohnehin keinen Sinn, hier pingelig zu sein.nSie sah sich hoffnungsvoll um: Falls sie alle weggefahren waren, kam vielleicht jetzt jemand zurück und konnte sie die Auffahrt entlang bis zum Haus mitnehmen. Der Weg schlängelte sich über fast einen Kilometer und stieg stetig ganz leicht an. Noch bis vor einem Jahr hatten rechts und links viele Bäume gestanden und Schatten gespendet, aber einige waren von einer Krankheit befallen worden, und man hatte sie fällen lassen müssen. Der Weg hatte dadurch viel von seinem Charme verloren, die Baumstümpfe sahen sehr traurig aus, und die Wildnis dahinter, die stets eine romantische Stimmung vermittelt hatte, wirkte auf einmal verwahrlost.nEs gibt schon eine Menge Zerfall hier, dachte sie.nWeit und breit ließ niemand sich blicken, und nachdem sie noch einmal kurz innegehalten und tief durchgeatmet hatte, machte sie sich daran, die letzte Etappe zu bewältigen. Der Baumwollpullover, den sie trug, klebte an ihrem Rücken, und ihre heißen Füße in den knöchelhohen Turnschuhen fühlten sich dick geschwollen an. Der Gedanke an eine Dusche und an ein Glas eiskalten Orangensaft bekam fast obsessiven Charakter.nUnd dann würde sie für den Rest des Tages die Beine hochlegen und sich nicht mehr aus ihrem Liegestuhl fortbewegen.nObwohl der Spaziergang schön gewesen war, wirklich schön. ..."